Das Wohnungseigentumsrecht ist eine ganz besondere Rechtsmaterie. Wer meint, allein durch das studieren des Wohnungseigentumsgesetzes Schlauheit zu erfahren, verliert sich schnell im Irrtum. Das Gesetz ist schwer verständlich. Zudem besteht es auch aus vielen Lücken, die in den Jahren durch die Rechtsprechung stückweise gefüllt wurden. Wenn es zu einem Rechtsstreit kommt, wird es nicht einfacher. Der Wohnungseigentumsprozess führt die Unklarheiten des materiellen Rechts fort und hält so manche erstaunliche Besonderheiten bereit.
Wohnungseigentümergemeinschaft und ehemalige Verwaltung stritten in einem anderen Verfahren (Prozess 1) über eine vorzeitige Abberufung der ehemaligen Verwalterin durch Beschluss. Das Amtsgericht schlug eine Einigung zwischen den Parteien vor. Hiernach sollte die Gemeinschaft die Hälfte ausstehenden Verwalterhonorars zahlen.
Die neue Verwaltung ließ sich auf einer Eigentümerversammlung von der Gemeinschaft die Zustimmung zu dem Vergleichsschluss erteilen. Diesen Beschluss akzeptierte nunmehr ein klagender Wohnungseigentümer nicht und erhob gegen diesen Beschluss nunmehr Anfechtungsklage (Prozess 2). Diese Klage gelangte sodann zum Bundesgerichtshof (BGH, Urteil vom 18. Oktober 2019, Aktenzeichen: V ZR 286/18).
Währenddessen wurde die Einigung durch die neue Verwaltung in dem anderen Verfahren (Prozess 1) wie beschlossen wirksam abgeschlossen.
Hiermit war der klagende Wohnungseigentümer nicht einverstanden. Dem dort geschlossenen Vergleich wollte er nicht zustimmen. In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof (Prozess 2) vertrat er die Auffassung, dass der Beschluss unwirksam sei, da man ihm hierdurch seiner wesentlichen Eigentümerrechte „beraube“.
Die Beschlussanfechtungsklage richtet sich gegen die übrigen Eigentümer der WEG und nicht gegen die WEG selbst. Dennoch werden die Eigentümer in dem Beschlussanfechtungsprozess durch die Verwaltung vertreten.. Die Verwaltung darf hierzu einen Rechtsanwalt beauftragten und diesem auch Weisungen zur Prozessführung erteilen. Dem einzelnen Eigentümer ist es hierbei nicht möglich, dem Verwalter selbst Weisungen für die Prozessführung zu erteilen. Ebenso kann der einzelne Eigentümer dem Rechtsanwalt keine Weisungen erteilen. Der Rechtsanwalt muss die Weisungen einzelner Eigentümer auch nicht befolgen.
Allerdings können die Eigentümer Im Rahmen einer Beschlussfassung dem Verwalter konkrete Weisungen zur Prozesshandlung erteilen. Hierzu muss jedoch das gesetzliche Verfahren zur Herbeiführung von Beschlüssen durch Mehrheitsentscheidung eingehalten werden. So können in diesem Beschluss dem Verwalter beispielsweise Weisungen zum Abschluss einer Einigung vor Gericht erteilt werden. Der Verwalter ist dann an diesen Beschluss gebunden und muss entsprechende Anweisungen an den beauftragten Rechtsanwalt erteilen.
Im Rahmen dieses Verfahrens ist es naturgemäß unbeachtlich, wenn eine Minderheit gegen die beschlossene Vorgehensweise stimmt. Die Minderheit muss sich dem Beschluss fügen, wenn dieser ordnungsgemäßer Verwaltung entspricht. Dies entspricht der üblichen Vorgehensweise bei der Fassung von Beschlüssen.
Die Beschlussfassung zur Erteilung von prozessualen Weisungen eröffnet nunmehr ein zweites Verfahren, nämlich die Beschlussanfechtungsklage gegen den neuen Beschluss. In diesem Umfeld bewegte sich nun der Eigentümer, der dem gerichtlichen Vergleich nicht zustimmen wollte. Er erhob hiergegen Beschlussanfechtungsklage. Währenddessen lief der erste Prozess weiter. In diesem wurde die Einigung rechtskräftig geschlossen.
Der klagenden Wohnungseigentümer verlor den „zweiten“ Beschlussanfechtungsprozess. Der Bundesgerichtshof hatte entschieden, dass der Beschluss rechtmäßig zustande gekommen ist und insbesondere einer ordnungsgemäßen Verwaltung entsprach. Dies wäre zwar nicht der Fall gewesen, wenn durch den Beschluss den Eigentümer verboten wäre, selbst ihre Rechte vor Gericht wahrzunehmen. Soweit ging der Beschluss jedoch nicht und war daher rechtmäßig.
Während der klagende Eigentümer also diesen zweiten Prozess verlor, wurde der andere Prozess gegen die alte Verwaltung zwischenzeitlich durch eine Einigung beendet. Dies wurde offenbar von dem klagenden Eigentümer verkannt. Der Bundesgerichtshof klärte jedoch in seinem Urteil den klagenden Eigentümer nebenher auf, wie er seinen Willen hätte doch durchsetzen können, was dem Kläger am Ende aber nicht mehr weiterhalf.
Die Beschlussanfechtungsklage richtet sich gegen die übrigen Eigentümer der Wohnungseigentümergemeinschaft (Stand: 05.10.2020. Der Gesetzgeber plant hier eine Änderung). In diesem Verfahren wird jeder Eigentümer regelmäßig durch die Verwaltung bzw. einen beauftragten Rechtsanwalt vertreten. Dabei ist es aber jedem Eigentümer freigestellt, sich selbst oder durch einen Rechtsanwalt neben den anderen Eigentümern zu vertreten oder vertreten zu lassen.. Hierzu muss der beklagte Eigentümer vor dem Gericht lediglich mitteilen, dass er es sich fortan selbst vertreten wird oder durch einen Rechtsanwalt vertreten lässt. Ab diesem Moment endet die Befugnis des Verwalters und des beauftragen Rechtsanwaltes der übrigen Wohnungseigentümer den ausscherenden Eigentümer zu vertreten.
Wollen die übrigen Eigentümer nunmehr eine Einigung in dem Prozess herbeiführen, ist dies jetzt nur noch möglich, wenn alle im Prozess vertretenen und beklagten Eigentümer zustimmen. Lehnt der ausscherende Eigentümer oder sein Rechtsanwalt dies ab, kann eine Einigung nicht mehr geschlossen werden. Denn alle Wohnungseigentümer können in dieser Situation nur eine gemeinsame Linie fahren.
Schwimmt ein sich selbst vertretener Eigentümer nun gegen den Strom, ist eine Einigung durch einen gerichtlichen Vergleich nicht mehr möglich. In diesem Fall kann die Mehrheit nicht mehr über die „Minderheit“ hinweg entscheiden. Das gleiche gilt auch für ein Anerkenntnis oder andere verfahrensbeendende Prozesshandlungen.
In dem oben dargestellten Verfahren „kämpfte“ der ausscherende Eigentümer also auf einem völlig falschen „Nebenkriegsschauplatz“, während die eigentliche Schlacht an einem völlig anderen Ort entschieden wurde.