Die Landesregierungen haben im November 2020 zum zweiten Mal erhebliche Einschränkungen des öffentlichen Lebens zum Schutze der Bevölkerung vor den gesundheitlichen Folgen der Covid-19 Pandemie beschlossen. Erneut müssen Gaststätten, Fitnessstudios, Hotels etc. für einen Monat schließen. Obwohl erhebliche Einnahmemausfälle hierdurch drohen, laufen die monatlichen Mietzahlungspflichten im Gewerberaummietrecht weiter. Es stellt sich daher vielfach die Frage, ob in der Zeit allgemeiner Schließungsanordnungen nicht auch die Pflicht zur Mietzahlung entfällt. Das Landgericht München I hat nun in einer Entscheidung entschieden, dass Anordnungen des Lockdowns zu einer Mietminderung führen können.
Die Entscheidung betrifft gewerbliche Mieträume in der Innenstadt von München. Als Mietgegenstand war der Betrieb eines Möbelgeschäftes vereinbart. Aufgrund der Corona-Pandemie wurde der Mieterin die Öffnung ihrer Ladenfläche in der Zeit vom 18.3.2020 bis zum 26.4.2020 vollständig durch den Freistaat Bayern untersagt. Seit dem 27.4.2020 bis zum 10.5.2020 ist der Mieterin der Betrieb nur eingeschränkt auf einer Fläche von 800 Quadratmetern im Erdgenschoß und teilweise im Untergeschoss möglich gewesen. Ferner musste die Mieterin ein umfangreiches Abstands- und Hygienekonzept einhalten, wobei in dem Ladengeschäft nur maximal der Aufenthalt eines Kunden je 20 Quadratmeter Verkaufsfläche zulässig ist.
Die Mieterin erklärte, ab April 2020 bis auf weitere keine Mieter mehr zu zahlen und stellte die Mietzahlung hierauf ein.
Die Vermieterin war hiermit nicht einverstanden und verklagte die Mieterin auf Zahlung von Mieten in Höhe von EUR 223.870,72.
Das Landgericht München I (Endurteil v. 22.09.2020, Aktenzeichen: 3 O 4495/20) entschied, dass die Miete aufgrund der angeordneten Schließung teilweise gemindert ist. Für das Landgericht spielte es eine wesentliche Rolle, dass die Mieträume nicht mehr als Möbelgeschäft während der angeordneten Schließung genutzt werden konnten. Zudem gehöre die Schließungsanordnung nicht zum Risikobereich des Mieters, so dass die Entscheidung anders hätte ausfallen müssen.
Das Gericht stützt seine Entscheidung zudem auf vier Entscheidungen des Reichgerichts (JW 1913, Seite 596, Nr. 10, Entscheidung vom 9.11.1915, Rep. III.145/15, Entscheidung vom 15.2.1916, Rep. III.333/15 und Reichsgericht Urteil vom 26.10.1917 Rep. III 212/17). In allen Entscheidungen des Reichsgerichts sei damals bei einem Verbot der Öffnung von Verkaufsstellen für den Einzelhandel oder des Gastgewerbes ein Mangel grundlegend anerkannt worden.
Da die Räumlichkeiten aber im Prinzip noch für Mitarbeiter, die Aufrechterhaltung der Verwaltung oder Inventararbeiten und ggf. für einen Versandhandel zur Verfügung gestanden haben, sah das Gericht keine Minderung von 100 Prozent. Entsprechend wurde die Mieterin zur teilweisen Zahlung verurteilt.
Die Begründung des Landgerichts bleibt in dem Urteil leider sehr dünn. Das Gericht stützt sich ohne auf den Einzelfall einzugehen hauptsächlich auf angeblich etablierte Entscheidungen des Reichsgerichts vor über 100 Jahren (!) und auf „starke Stimmen“ in der Literatur.
Dabei lässt das Gericht Entscheidungen des Bundesgerichtshofes zu diesem Themenkomplex völlig außen vor. Der Bundesgerichtshofe hat in seinem Urteil vom 13. Juli 2011 (Aktenzeichen: XII ZR 189/09) klar ausgeführt, dass gesetzliche Gebrauchsbeschränkung unmittelbar im Zusammenhang mit der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage des Pachtobjekts stehen müssen. Andere gesetzgeberische Maßnahmen, die den geschäftlichen Erfolg beeinträchtigen, fallen dagegen in den Risikobereich des Mieters und führen nicht zu einer Mietminderung.
Die Corona bedingten Schließungsanordnungen der Landesregierungen beeinträchtigen unmittelbar die geschäftliche Tätigkeit. Die Mieträume selbst bleiben ja weiter nutzbar. Die Beschaffenheit, der Zustand oder die Lage der Mieträume wurde durch die Schließungsanordnungen der Landesregierungen nicht beeinträchtigt.
Die Grundlegende Argumentation des Landgerichts bleibt daher für Zwecke der Nachahmung höchst riskant.
In dem Urteil ist ansatzweise zu erkennen, dass sich die Mietsache selbst in einem größeren „Einkaufszentrum“ befindet. Dies könnte jedoch die rechtliche Argumentation zu Gunsten der Mieter verändern.
Denn durch die Schließungsanordnung, welche alle Geschäfte in einem Einkaufszentrum betreffen, werden die in einem Einkaufszentrum typischerweise vorkommenden Kundenströme unterbrochen. Es sind aber doch gerade jene Kundenströme, die meist den Beweggrund der Anmietung von teuren Verkaufsflächen in Einkaufszentrum bilden. Daher könnte man argumentieren, dass die Schließungsanordnungen die Beschaffenheit, den Zustand oder die Lage der Mieträume unmittelbar beeinträchtigen. Die Schließung aller übrigen Geschäfte in einem Einkaufzentrum wirkt sich auf jeden einzelnen Gewerbetreibenden dadurch aus, dass die Kundenströme zu versiegen kommen.
Möglicherweise werden sogar von dem Betreiber selbst aufgrund der Corona bedingten Schließungsanordnungen die Eingangspforten geschlossen, so dass der Zutritt von Kunden schon an der Pforte durch den Vermieter gestoppt wird. In diesem Fall spricht dann doch vieles dafür, dass ein Mietmangel vorlag und die Miete von den Mietern nicht vollständig gezahlt werden muss.
Diese Argumentation kann auch auf große Einkaufsstraßen übertragen werden. Denn auch diese bilden in der Regel einen wesentlichen Grund für die Anmietung von Gewerbeflächen. Versagen die Kundenströme, liegt ein Mangel vor. So hat auch das Oberlandesgericht Frankfurt am Main in einem Urteil vom 05. Juli 2017 (Aktenzeichen: 2 U 152/16) entschieden, dass die zeitweise Sperrung einer Landstraße einen Mietmangel darstellen kann. Voraussetzung war, dass die Attraktivität des Mietobjekts gerade auf der besonderen Lage im Zusammenhang mit der Landstraße beruht.