Zwangsräumung in Zeiten der Corona-Krise – Erste Entscheidung

Gerichtsverhandlungen werden verschoben oder gar vollständig abgesagt. Gerichtsgebäude sind für Besucher weitgehend geschlossen. Die Öffentlichkeit wird von Gerichtsverhandlungen nahezu ausgeschlossen. Die Justiz bewegt sich während der Corona-Pandemie (Covid-19-Pandemie) an den Grenzen des Zumutbaren. Ausgenommen, so schien es, war die Zwangsvollstreckung, also die Durchsetzung gerichtlicher Urteile. Unbeeindruckt von der Corona-Krise wurden und werden Urteile weiterhin vollzogen. Gerichtsvollzieher führen weiterhin ihre Aufträge durch die Gläubiger aus und vollstrecken im Namen der Gläubiger Urteil. Im Bereich der Räumungsvollstreckung kommen angesichts umfassend auferlegter Kontaktverbote oder gar Ausgangssperren grundrechtsrelevante Fragen auf, wenn Mieter durch Zwangsmaßnahmen aus Wohnungen geräumt werden sollen.

Was war geschehen?

 

Das Amtsgericht Königstein im Taunus (Az.: 91 M 537/20) musste sich mit der Frage auseinandersetzen, ob aufgrund der Covid-19 Pandemie die Vollstreckung eines Räumungsurteils angesichts der akuten Gesundheitsgefahr für die zu räumenden Mieter und die Bevölkerung eine sittenwidrige Härte darstellt und daher eingestellt werden muss.

Die Mieter unterlagen in einem Räumungsprozess. Es wurde entsprechend ein Räumungsurteil durch das Amtsgericht erlassen. Das Urteil wurde rechtskräftig. Der Vermieter beauftragte die zuständige Gerichtsvollzieherin mit der Zwangsräumung, welche als Räumungstermin den 27.03.2020 festlegte. An diesem Tag sollten die Mieter entsprechend des Urteils, notfalls mit Polizeigewalt, aus der Wohnung geräumt werden. Die Mieter versuchten hiergegen Räumungsschutz zu beantragen. Der Antrag der Mieter wurde abgelehnt. Hiergegen wendeten sich die Mieter mit einer sofortigen Beschwerde und begründeten, nunmehr anwaltlich vertreten, ihren Antrag neu und bezogen sich nunmehr auf die bestehenden Gefahren der Covid-19 Pandemie.

 

Der rechtliche Hintergrund

 

Rechtskräftige Urteile sind zu vollstrecken!

In dem gerichtlichen Verfahren haben die Parteien ausreichend Gelegenheit ihre Argumente und Beweise vorzutragen. Nach Abschluss des Verfahrens und nach Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung können neue Argumente oder Beweise, die gegen eine Verurteilung sprechen, nicht mehr vorgetragen werden. Das Urteil ist daher ungeachtet weiterer Argumente oder Beweise zu vollstrecken.

In § 765a ZPO gibt es jedoch die Möglichkeit, besondere soziale Härten einer Vollstreckung abzuwenden. Die Vollstreckung wird ausgesetzt. Das Urteil bleibt dadurch zwangsläufig ohne weitere Folgen. Die Hürden hierfür sind jedoch zu Recht hoch. Eine Räumungsvollstreckung kann daher nicht verhindert werden, weil der geräumte danach auf der Straße landen würde. Denn der Verlust der Wohnung ist ja gerade die Konsequenz eines Räumungsurteils. Eine Räumungsvollstreckung kann jedoch nicht ungeachtet von Gesundheitsfahren vollzogen werden. Leben und Gesundheit bilden stets die Grenze staatlichen Handels. Wir die Vollstreckung sittenwidrig, kann sie nicht durch unsere Rechtsordnung gestützt werden.

Zu entscheiden war daher, ob die durch das Covid-19 Virus ausgehenden Gefahren eine besondere soziale Härte darstellen, die gegen eine Räumungsvollstreckung stehen.

 

Die Entscheidung

 

Das Gericht entschied, dass ein Räumungsaufschub nur gewährt werden darf, als die sofortige Räumungsvollstreckung auch unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände für den Schuldner eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist.

Hiervon ist das Amtsgericht aufgrund der Corona-Pandemie ausgegangen:

Aufgrund der derzeit herrschenden Situation in der Bundesrepublik Deutschland nach Ausbruch des Corona-Virus sei eine Räumungsvollstreckung zunächst bis Ende Juni 2020 zu versagen und einstweilen einzustellen.

Aufgrund des sich exponentiell ausbreitenden Virus und der hohen Gefahr einer Ansteckung, würde es der Staat sehenden Auges hinnehmen und akzeptieren, dass sich die Schuldner mit dem neuen Virus infizieren, wenn er die Räumungsvollstreckung erlaubt. Damit entstehen aber auch eine hohe Gefahr für weitere Menschen aufgrund der exponentiellen Ansteckungsrate . Durch die Räumung werden letztendlich erhebliche Grundrechtsverletzungen einhergehen.

Es besteht gegenwärtig eine Ausnahmesituation in Deutschland, die aufgrund umfangreicher Stilllegung des sozialen Lebens Angst vor Ansteckungen und Existenzängste hervorrufe.

Dies rechtfertigt nach Ansicht des Amtsgerichts Königstein im Taunus insgesamt eine Einstellung der Vollstreckung. Die Interessen des Vermieters überwiegen die Interessen der zu räumenden Mieter in dieser Ausnahmesituation nicht.

Da ein Ende der Pandemie auch nicht durch Experten bestimmt werden kann, wurde den Mietern zunächst ein Räumungsschutz von 3 Monaten gewährt.

 

Für die Praxis

 

Besondere Zeiten führen zu besonderen Entscheidungen. Die Hürde, Räumungsschutz zu erhalten, ist unermesslich hoch. Der Erfolg solcher Anträge ist daher nahezu aussichtslos. Nur in besonders schwierigen Ausnahmesituation kann Räumungsschutz gewährt und die Durchsetzung eines Urteils ausgesetzt werden.

Das Amtsgericht sieht in der Covid-19 Pandemie eine solche Ausnahmesituation. Die Gesamtsituation in der Bundesrepublik Deutschland lässt eine Räumungsvollstreckung gegenwärtig nicht zu.

Soweit ersichtlich handelt es sich hierbei um die erste Entscheidung über Räumungsschutz während der Corona-Krise.

In Berlin verhinderte ein Vermieter bereits selbst eine Räumung. In der Politik werden bereits Stimmen laut, Räumungsvollstreckungen allgemein auszusetzen. Der Berliner Senat hat bereits entschieden, Räumungsvollstreckungen auszusetzen.