Vogelfütterung

Beschlussaussetzung im Eilverfahren während schwebender Beschlussanfechtungsklage

 

1.  Eine Beschlussanfechtungsklage hat keine aufschiebende Wirkung.

2.  Auch fehlerhafte angefochtene Beschlüsse sind bis zu ihrer Ungültigkeitserklärung von der Verwaltung zu vollziehen.

3.  Die Vollziehung offenkundig rechtswidriger Beschlüsse kann für die Zeit des schwebenden Anfechtungsverfahrens per einstweiliger   Verfügung ausgesetzt werden.

4.  Ein nichtiger Beschluss ist nicht vollziehbar. Er kann per einstweiliger Verfügung deklaratorisch ausgesetzt werden.

 

Landgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 01.10.2020, Az.: 2-13 T 64/20 (rechtskräftig). § 21 WoEigG, § 23 Abs. 4 WoEigG, § 27 WoEigG, § 935 ZPO

 

Problem/Sachverhalt

 

Der klagende Wohnungseigentümer einer aus mehreren eigenständigen Hausanlagen bestehenden Gemeinschaft füttert auf seinem Balkon Vögel. Die übrigen Eigentümer des Hauses fühlen sich in dem ohnehin angespannten Gemeinschaftsverhältnis durch die angelockten Vögel und den hierdurch angeblich verursachten Vogelkot erheblich gestört. Nach der Gemeinschaftsordnung bildet jedes Haus eine Untergemeinschaft. Die Eigentümer der betroffenen Untergemeinschaft beschließen kurzerhand in einer außerordentlichen Eigentümerversammlung die Ergänzung der Hausordnung. Darin wird geregelt: „Das Füttern von Vögeln im Bereich der Untergemeinschaft … ist grundsätzlich verboten. Für jedes verbotswidrige Vogelfüttern ist eine Vertragsstrafe in Höhe von 400 € an die Untergemeinschaft fällig.“ Gegen diesen Beschluss erhebt der betroffene Eigentümer Beschlussanfechtungsklage. Während der Dauer des Verfahrens sieht er sich wegen drohender Vertragsstrafen durch die Gemeinschaft daran gehindert, weiterhin Vögel zu füttern. Gleichzeitig beantragt er daher per einstweiliger Verfügung für die Dauer der Beschlussanfechtungsklage die einstweilige Aussetzung der Vollziehung des Beschlusses.

 

Entscheidung

 

Mit Erfolg! Auch fehlerhafte Beschlüsse einer Eigentümerversammlung sind bis zu ihrer Ungültigkeitserklärung durch ein Gericht grundsätzlich wirksam und vollziehbar. Die Anfechtungsklage hat also gerade keine aufschiebende Wirkung. Der Verwalter ist deshalb regelmäßig gehalten, auch angefochtene Beschlüsse zu vollziehen. Drohen jedoch irreversible Schäden oder ist der Beschluss offenkundig rechtswidrig, kann die Vollziehung des Beschlusses mittels einstweiliger Verfügung ausgesetzt werden. Die Einführung einer Vertragsstrafe durch die Untergemeinschaft ist nicht nur rechtswidrig. Sie ist auch evident nichtig. Zwar entfalten nichtige Beschlüsse im Gegensatz zu anfechtbaren Beschlüssen keine Wirkung und können daher auch nicht vollzogen werden. Es bleibt aber möglich, eine deklaratorische Beschlussaussetzung erfolgreich per einstweiliger Verfügung herbeizuführen, wenn nicht ausgeschlossen ist, dass die Vollziehung des Beschlusses dennoch durch die Gemeinschaft versucht wird.

 

Praxishinweis

 

Das Verfahren über die Beschlussanfechtungsklage kann vor Gericht mehrere Monate in Anspruch nehmen. Im Falle einer Berufung auch mehr als ein Jahr. Bis zu einer Entscheidung bleiben die Beschlüsse grundsätzlich wirksam und vollziehbar. In besonders zerstrittenen Gemeinschaften könnte diese prozessuale Besonderheit dazu genutzt werden, um vorrübergehend Fakten zu schaffen. Diesem Versuch kann mittels einstweiliger Verfügung begegnet und die Aussetzung der Vollziehung der Beschlüsse begehrt werden. Sogar nichtige Beschlüsse könne hierdurch deklaratorisch ausgesetzt werden. Der Gemeinschaft können hierdurch hohe Prozesskosten drohen.